Diese Ausgabe von „Kraut und Lot“ erschien 1922 im Adolf Sponholtz Verlag Hannover. Die Erstauflage war eben dort bereits 1911 erschienen. Foto: Archiv PIRSCH
Pfui laut ! Wer ein gutes Revier gepachtet
hat, sollte nicht mit Trophäen und Strecken renommieren, sonst ist man es
schnell wieder los. Das hat Hermann Löns in seinem Buch „Kraut und Lot“ wunderbar beschrieben.
Sieben Männer sitzen beim
Biere und schimpfen nach der Schwierigkeit, während sie so heftig rauchen,
als wenn ein Häusling am Brotbacken ist. „Eine Schande wert ist es,“
knurrt der eine, ein Weißbart mit krebsrotem Gesicht; „ein Schkandal, wie
die Jagdpachten gestiegen sind. Es ist, als ob die Pysen den Hals nicht
voll genug kriegen können. Vor zwanzig Jahren kostete meine Jagd sechzig
Mark. Dann stieg sie auf dreihundert, und jetzt wollen die Leute
tausendfünfhundert haben. Ja, wer kann sich so viel leisten, wenn er nicht
gerade mit einem Geldschrank um den Hals auf die Welt gekommen ist. Otto,
ich trinke noch eins!
“Der andere nickt und zieht die Stirnhaut
in Querfalten. „Ja, das wird von Jahr zu Jahr doller! Ob ich meine Jagd
behalte, das ist die Frage. Vor sechs Jahren bin ich von achthundert auf
zwölfhundert Mark gesteigert worden, und jetzt wollen die verdammten
Bauern zweitausendfünfhundert haben. Am liebsten schmisse ich ihnen die
ganze Geschichte vor die Beine; aber kriege mal einer eine Jagd wieder,
vorzüglich so eine, wie mein Knubbendorf, wo ich mit dem Auto in einer
Stunde mitten drin bin; na, und für andere Leute habe ich nicht so einen
bildschönen Rehstand herangezüchtet. So werd ich denn wohl die
zweieinhalbtausend Emmchen bluten müssen.“
Der sehr elegante
Doktor, Spezialist für Damen mit ausgefransten Nerven, putzt seinen
Klemmer sehr sorgfältig, setzt ihn auf die klassische Nase, nippt ein
Schlückchen Rotwein, steckt sich eine neue Zigarette an und seufzt: „Das
ist -alles noch zu ertragen, meine verehrten Freunde; aber mir geht es
noch schlimmer. Ich kriege meine Jagd überhaupt nicht wieder, und wenn ich
drei braune Lappen hinlege. Meißenhagen wollen die Bauern selber haben,
und Enkenrode werde ich an Bankier Samuelson los, denn er braucht es, um
seine Jagd zu arrondieren. Hat ja auch an fünfundzwanzigtausend Morgen
noch nicht genug.Er selber jagt ja so gut wie gar nicht, aber als
guter Geschäftsmann schmeißt er mit Rehböcken nach Einlagen für seine Bank
und so hat er an den hundertfünfzig Böcken, die er bisher auf dem
Abschusse stehen hatte, nicht genug, und muß meine dreißig dazu haben. Und
das Dümmste ist, daß ich ihn selber mit der Nase darauf gestoßen habe.
Hätte er die Gehörne bei mir nicht gesehen, so hätte er wohl die Finger
davon gelassen. Aber natürlich: man renommiert ja gern mit seinen Trophäen
und nun habe ich den Salat. Na, Senatorchen, Ihnen geht es ja nicht
besser.“
Undankbare Jagdgäste
Der Senator nickte trübselig. Er hatte sich drei
Gemeindejagden gepachtet, alles in allem so an achtzehntausend Morgen
Holz, Feld, Wiesen und Bruchland, hatte einen Rehstand erster Güte in
achtzehn Jahren hochgebracht, konnte jährlich fünfzig Böcke an gute
Freunde abgeben, veranstaltete Treibjagden, bei denen fünfhundert Krumme
auf der Strecke lagen, schoß seine fünf- bis achthundert Hühner und an
hundert Fasanen, und nun es zur Neuverpachtung kam, wurden ihm die drei
Jagden von einem unbekannten Menschen so hoch getrieben, daß es ihm zu
dumm wurde und er verzichtete.
So bekam der Fremde den Zuschlag und
hinterher stellte es sich heraus, daß er für ein Konsortium geboten hatte,
das aus sechs Herren bestand, von denen zwei als Jagdgäste des Senators
Gelegenheit gehabt hatten, sich von der Vortrefflichkeit der drei Jagden
zu überzeugen. „Eine Gemeinerei ist es“, hatte er hinterher am Stammtisch
gesagt, ultraviolett im Gesicht, und auf den Tisch hatte er geschlagen,
daß die Gläser Polka tanzten.
Jetzt sagt er gar nichts und
raucht stumm vor sich hin, und als ihn der Professor fragt: „Na, sind Sie
mit Ihrer neuen Jagd zufrieden?“ da zuckt er die Achseln und macht ein
mißvergnügtes Gesicht. „Viel los ist da nicht“, meint er, „und es ist ein
höllisches Ende bis dahin, drei Stunden Eisenbahn und anderthalb Stunden
Wagen, und dann noch eine Stunde Laufen, ehe man halbswegs in der Jagd
ist. Die Wirtschaft ist auch nicht viel wert, das Volk da gefällt mir erst
recht nicht, die Pacht ist übel hoch, Wildschaden muß ich auch bezahlen.
Aber was soll man machen? Otto, einen Nordhäuser!“ Er trinkt den
Trostschnaps und fährt fort: „Ich glaube, es wird da ganz gehörig
gewilddiebt. Dem Jagdaufseher traue ich kein bißchen. Mit der Winteräsung
steht es faul: wenn ich nicht stark füttere, habe ich einen Haufen
Fallwild. Hasen wachsen da auch wenig und mit den Hühnern steht es ganz
mies. Nicht wahr, Korle?“
Der Graubart zu seiner Rechten, sein
ältester Jagdfreund, nickt und seine treuen blauen Augen sehen so
bierehrlich aus, als hätte der Senator die reine Wahrheit gesagt, nichts
verschwiegen und nichts hinzugesetzt. Gewiß, der Rehbestand ist nicht
allzu groß, und etwas Fütterung tut im Winter not, schon des Rotwildes
wegen, und einiger Wildschaden muß auch bezahlt werden, denn es sind
ständig Sauen da, die den Bauern ab und zu über die Kartoffeln gehen. Aber
der Herr Senator ist durch den Verlust seiner drei schönen Jagden so
schlau geworden wie sein Freund Korle, der ihn oft genug gewarnt hatte,
wenn er allzu freigebig mit Jagdeinladungen war und jedem, der sie sehen
wollte, seine Wände voll Gehörne zeigte. So hält er jetzt seinen Mund,
zeigt die acht guten Gehörne, die er in der neuen Jagd erbeutete, und das
brave Zehnendergeweih nur seinen allervertrautesten Freunden, die alle
gerade solche Heimtücker sind wie Korle.
Von dem weiß man, daß er
irgendwo in der wildesten Heide eine Jagd hat, eine große Jagd sogar,
dreißigtausend Morgen zusammenhängend, aber gesehen haben sie nur ganz
wenige Leute und die sprechen darüber nicht. Die sechs alten Jagdfreunde,
die der Major hat, schießen alle Jahre ihre zwei, drei Hauptböcke dort, wo
sie allein wissen, welch ein großartiger Schnepfenstrich da ist, und daß
man in jedem Herbst dort auf Schnepfen treiben kann, ein Unikum weit und
breit. Auch Birkwild ist die schwere Menge da, an Enten mangelt es
gleichfalls nicht, Bekassinen, Stumme und Doppelschnepfen finden sich zur
Genüge, und mit den Hasen und den Hühnern ist es auch recht gut bestellt.
Dazu die ausgezeichnete Wirtschaft mit den prächtigen Wirtsleuten, eine
goldehrliche Bevölkerung, ein gemütliches Jagdhaus, ein Netz von sauber
gehaltenen Pürschsteigen, überall Hochsitze, eine Jagd, wie man sie selten
findet, zumal sie landschaftlich ganz entzückend ist und alles enthält,
was ein Jägerherz sich nur wünschen kann, hohe Geest und tiefes Bruch,
grüne Feldmark und braunes Moor, Wald jeder Art und Wasser jeglicher
Gattung.
Schweigen ist Gold
Der Major, der wegen eines jetzt verheilten Lungenschusses
ziemlich früh den Abschied nehmen mußte, hat einen großen Bekanntenkreis
und macht ein Haus, denn an Geld mangelt es ihm nicht. Im Treppenhause und
im Speisezimmer hängen allerlei Rehgehörne, auch einige Geweihe und
Keilerköpfe und dazwischen balzen Ur- und Spielhähne, und auch im
Rauchzimmer ist manches leidliche Beutestück zu sehen. Es gibt bei seinen
Gesellschaften einen vortrefflichen Wein und eine ausgezeichnete Zigarre,
aber seinen allerbesten Wein, ein Geschenk vom Vetter Weingutsbesitzer,
und die feinsten Zigarren vom Schwager Großhändler, die bekommen nur die
sechs Bluts- und Busenfreunde zu schmecken.
Wie auch diese sechs
erprobten Wahlbrüder der Ehre gewürdigt werden, von dem Hausherrn zur Jagd
eingeladen zu werden, so bekommen auch sie allein nur dessen Arbeitszimmer
zu sehen und das, was dort an den Wänden hängt. Das ist der Mühe wert,
denn dort prahlen Rehkronen, wie man sie so leicht nicht zu Blick bekommt,
alle so hoch oder noch höher, von bester Auslage und prachtvoll geperlt
und dazwischen einige ganz besonders gute Geweihe, und ein Hauptkerl vor
Urhahn, und das Haupt eines alten Bassen. Würde der Major jeden in diesen
Raum hineinlassen, der bei ihm zu Gaste kommt, so behielte er seine schöne
Jagd nicht lange; viele gierige Hände würden danach langen und bald würde
sie ihm von Leuten, die anstandshalber eine Jagd haben müssen, so hoch
getrieben, daß er sie fahren lassen müßte. Da er nun als Gutsbesitzersohn
seit dem zwölften Jahre Jäger ist, so ist er darüber lange hinaus, seine
jagdlichen Erfolge vor dem Volke leuchten zu lassen, und seine drei
Jungens halten desgleichen den Mund, so daß, während ringsumher alles, was
überflüssiges Geld hat, nach guten Jagden giert und ein guter Bekannter
dem andern seine Jagd abpachtet, der Major sich seit anderthalb Dutzend
Jahren seiner Jagd in Frieden freuen kann.
Aber nur wenige Jäger
vermögen es über sich zu gewinnen, ihrem frohen Herzen ein „Pfui laut!“
zuzurufen, haben sie eine gute Jagd gepachtet; den meisten läuft der Mund
über. Ist dann erst ein gutes Gehörn oder gar ein braves Geweih erbeutet,
so ist des Prahlens kein Ende. Das Gehörn wird am runden Tisch vorgezeigt
und kaum hat der Drechsler das Geweih, dann kommt die ganze Freundschaft
des glücklichen Schützen angestrolcht und läßt es sich zeigen. Läuft dann
die Pachtzeit ab, dann sieht der Jagdpächter mit Grimm und Grausen, daß
zwanzig Bieter mehr als beim letzten Male im Dorfkrug sitzen, und er
schimpft Mord und Brand über die ruchlosen Leute, die einem braven Manne
seine Jagd nicht gönnen, anstatt sich vor den Spiegel zu stellen und sich
einen Heuochsen zu nennen, denn nur er selber hat die Schuld daran, daß er
seine Jagd loswird; hat er sie doch, wenn auch nicht in der ausgeprochenen
Absicht, an allen Stammtischen, an denen er verkehrt, feilgeboten.Außerdem
war er in der Wahl seiner Freunde nicht vorsichtig genug. Zu Suche und
Treibjagd hat er Hinz und Kunz eingeladen, denn er ist ein Streber und
sucht sich recht viel Leute zu verpflichten. Auch mit seinen Böcken war er
viel zu freigebig, hatte er doch genug, und so drangen mehr Leute in die
Geheimnisse seiner Jagd ein, als für ihn ersprießlich waren. Als dann
dieser oder jener aus seinem Bekanntenkreise sich an den Jagdvorstand
heranmachte und ihm sagte, die Jagd sei eigentlich, vergleiche man sie mit
anderen, reichlich billig, da spitzte der Herr Jagdvorsteher die Ohren.
Denn ob die Gemeinde tausendzweihundert oder dreitausend Mark bekommt, das
ist für die Gemeindekasse durchaus nicht einerlei, und so stand eines
scheußlich-schönen Tages der Jagdpächter vor der qualvollen Wahl, entweder
mehr als das Doppelte zahlen zu müssen oder die Jagd schießen zu lassen,
und nun sitzt er da, schimpft über die Gemeinheit der Menschen im
Allgemeinen und über die der Jäger im Besonderen und stellt die These auf,
daß Treu und Glauben nur noch bei den Hunden zu finden sei.
Das
hätte er füglich eher bedenken sollen und sich des Sprichwortes erinnern:
„Trau, schau, wem!“ Die Anzahl der Jäger hat so zugenommen, daß gute
Jagden sehr gesucht sind. Früher galt es für unanständig, daß Bekannte
sich gegenseitig die Reviere fortschnappten. Aber wie unser Geschäftsleben
seit der Gründerzeit in der Hauptsache derartig geworden ist, daß nur noch
das als unfein im Handel gilt, was gegen das Strafgesetzbuch verstößt, so
ist es auch mit der Jagd geworden. Es gibt in weiten Kreisen der Jäger
weder Treu noch Glauben mehr. Heute wird Müller bei Meyer zur Jagd
eingeladen und in Jahresfrist pachtet Müller Meyern die Jagd vor der
verlängerten Visage fort oder, hat er noch einen Funken Ehrgefühl im
Leibe, so überläßt er das seinem Freunde-Kötter, dessen stiller Teilhaber
er dann wird.„Pfui laut!“ ruft der Rüdemann der Meute zu, wird ihr
Ball zu störend. Der Jäger, der eine nette Jagd sein eigen nennt, tut gut,
will ihm von dem, dessen sein Herz voll ist, der Mund überlaufen, sich zu
erinnern, wie übel es seinen Bekannten gegangen ist, die die Schönheiten
ihrer Jagden an allen Biertischen priesen.
Und juckt es ihn auch noch
so sehr kundzugeben, wie viele und wie gute Böcke er schoß, er steht sich
besser, ruft er sich zu: „Pfui laut!“