Alle drei Jahre entbrennt im Freistaat Bayern die Diskussion darüber, welchen Einfluss des Schalenwild auf den Waldbau ausübt. Im Mittelpunkt steht dabei der Verbiss und der mögliche Schaden dadurch, festgehalten in einem Vegetationsgutachten. Dabei könnte die Sache viel einfacher sein. Die Geschichte dazu geht so:
"Es war einmal ein Tannensamen. Der wuchs gemeinsam mit Brüdern und Schwestern in Hunderten Zapfen auf einer stattlichen Weißtanne heran. Dann zerbröselten die trauten Heime, der kleine Samen schwebte mit dem Herbstwind davon und fiel auf den Boden. Dort keimte er, streckte sich zum Keimling, dann zur Jungtanne und … wurde verbissen".
Was für das kleine Tännchen „persönlich“ durchaus ein Problem sein kann, muss für den Waldbesitzer aber noch lange kein wirtschaftlicher Schaden sein. Schließlich ist der moderne Waldbauer Pragmatiker: Das Ergebnis im Kollektiv ist entscheidend, nicht das Schicksal Einzelner. Der Münchner Waldbauprofessor Reinhard Mosandl teilt unterschiedlich alte Waldbestände in Abhängigkeit von deren Brusthöhendurchmesser (BHD) in sechs „natürliche Wuchsklassen“ ein (entscheidend ist stets der Bestandsdurchschnitt):
- Jungwuchs: Die Baumindividuen des Bestandes haben eine Höhe von unter 1,30 Meter.
- Dickung: Der Bestandsdurchschnitt hat einen BHD von bis zu sieben Zentimetern.
- Stangenholz: Der Bestandsdurchschnitt hat einen BHD zwischen sieben und 14 Zentimetern.
- Geringes Baumholz: Der durchschnittliche BHD liegt zwischen 14 und 28 Zentimetern.
- Mittleres Baumholz: Der durchschnittliche BHD liegt zwischen 28 und 56 Zentimetern.
- Starkes Baumholz: Der Durchschnittsbaum hat einen BHD von mehr als 56 Zentimetern.
Der Waldbestand der Zukunft wird als standortangepasster Mischwald verstanden. Durch eine durchgehende Bestockung mit forstlich relevanten Pflanzen – zumeist erreicht durch Femel-, Schirm- und Saumschlagbetrieb – sollen Vergrasung und Erosionsschäden vermieden werden. Abgesehen von punktuell notwendig werdenden Nachpflanzungen setzen viele Waldbauern auf Naturverjüngung wie unseren Tannensämling. Anders als im Agrarland ist die Umtriebszeit eines Waldbestands deutlich höher und dementsprechend umfassen auch Mosandls Wuchsklassen Zeitspannen von teils mehrere Jahrzehnte.
Je nach Baumart und Verwendungszweck des Holzes werden Bäume in unterschiedlicher Stärke genutzt. Die derzeit gängigen Zielstärken bei den mitunter am meisten eingeschlagenen Baumarten Fichte und Buche (und deren Mischbeständen) liegen z.B. bei den Bayerischen Staatsforsten bei 50 bzw. mindestens 65 Zentimetern Brusthöhendurchmesser (Bestände auf risikoarmen Standorten). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass bei einer planmäßigen Ernte die Wuchsklassen des mittleren und starken Baumholzes geernet werden. Entsprechend dem Ziel eines dauerhaften Bewuchses mit forstlich relevanten Pflanzen sollte in diesen Beständen schon vor der Ernte eine sich etablierende bzw. bereits etablierte Naturverjüngung vorhanden sein.